Jana Islinger – DROA – Es ist Zeit

Eine virtuelle Ausstellung der Galerie nEUROPA mit Fotografien von Jana Islinger.

Georgien im Aufbruch

Georgien, am östlichsten Ende Europas gelegen, steht im Spannungsfeld eines Konflikts zwischen pro-westlicher Neuorientierung und historisch russischer Einflusssphäre, der sich in der gesamten Gesellschaft widerspiegelt.

Droa [„Es ist Zeit“] ist die fotografische Suche nach der Identität eines Landes zwischen dem Traum von Europa, der Angst vor Russland und den Folgen einer jahrelangen Unterdrückung.

Die Fotografin Jana Islinger verbrachte für ihre Reportage im Frühjahr 2022 zwei Monate in Georgien. Eine zentrale Rolle in ihrer Arbeit spielen das sowjetrussische Erbe und der Übergang daraus in ein – vermeintlich – unabhängiges System. Sie begleitete Menschen, die sich im Kapitalismus schwertun, im Wandel zurückbleiben und Trost in ihrem Glauben finden. Aber auch diejenigen die bereits in einem unabhängigen Georgien geboren sind. Sie kämpfen für ein selbstbestimmtes Leben, weit weg von den konservativen Ansichten der älteren Generation und fordern eine Annäherung an die EU.

Thematisiert werden auch die abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien, die durch Russlands Einfluss in einen Sezessionskrieg gerieten. Jana Islinger portraitierte Menschen, die ihre Heimat verloren haben, jedoch nicht die Hoffnung, eines Tages dorthin zurückzukehren. Ein weiterer Bestandteil ihrer Arbeit sind verschiedene Parteien und Organisationen, die versuchen, das Land zu liberalisieren und gegen innenpolitische Geschehnisse und mächtige, von Russland unterwanderte Eliten vorzugehen.

Orthodoxes Kreuz am Straßenrand, Mingrelien

Die georgisch-orthodoxe Kirche hat einen entscheidenden Einfluss auf die gesellschaftliche Situation in Georgien. Ihre Kirche und der christliche Glaube entwickelte sich in der Bevölkerung zu einem Symbol für die Einheit und Identität der georgischen Nation. Heute hat die Kirche in Georgien einen starken politischen Einfluss und eine stetig wachsende Mitgliederzahl. Etwa 80 Prozent der rund vier Millionen Einwohner gehören ihr an, dennoch ist die Glaubensgemeinschaft gespaltener denn je. Die konservative Haltung des orthodoxen Patriarchats führt oft zu Konflikten mit der sich immer weiter nach Westen orientierenden Gesellschaft, insbesondere mit der jungen Generation, die für ihre eigene Freiheit kämpft.

Büro der Sicherheitskräfte, Tbilisi

„Frauen in Georgien haben nicht die Freiheit wie die Frauen in Europa, und solange wir nicht Teil davon sind, wird sich das nicht ändern. Ich möchte Ärztin werden, aber dafür muss ich ins Ausland gehen. Nach der Ausbildung möchte ich zurückkommen und mein Können hier einsetzen. Nur so kann sich in diesem Land etwas verändern.“

Anastasia, 17, Tbilisi

Flugshow zum georgischen Unabhängigkeitstag

Renata vor dem Technoclub Bassiani, Tbilisi

„In einem Land, in dem die Bevölkerung pro-europäisch und die Regierung pro-russisch ist, ist es unmöglich, dass die Dinge auch nur einigermaßen gut laufen. Das Gefühl der Ungerechtigkeit umgibt dich so stark, dass du mit jedem Atemzug etwas spürst, etwas, das dir im Hals stecken bleibt. Es gibt nur ein Mittel: Du musst kämpfen und darfst nicht aufgeben. Der Dämmerzustand wurde bei den letzten März-Kundgebungen durchbrochen, die Menschen spürten die Kraft, und wir gewannen den Glauben zurück, dass wir unsere Ziele erreichen können.“

Liza (links), Tbilisi , von der Kleinpartei Droa

Jamse, Marina und Uligu in ihrem Haus, einem verlassenen Hotel in Tskaltubo

Abchasien mit seinen rund 245.000 Einwohnern liegt am Fuße des Kaukasus an der Nordküste des Schwarzen Meeres und steht unter Schutz Russlands. Völkerrechtlich ist Abchasien eine Region Georgiens, doch Anfang der neunziger Jahre erklärte es seine Unabhängigkeit. Zwischen 1992 und 1993 kam es zu einem brutalen Sezessionskrieg, der tausende Menschen das Leben kostete und rund 250.000 Flüchtlinge zur Folge hatte. Verschiedene Versuche der Versöhnung oder Wiedervereinigung scheiterten, 2008 erkannte Russland Abchasien als unabhängig an. Wer geblieben ist und noch heute dort lebt, möchte meist eher zu Russland gehören als zu Georgien. Auf der anderen Seite sind manche der Georgier, die damals aus ihrer Heimatregion vertrieben wurden, schon seit Jahren in einstmals vorübergehenden Unterkünften untergebracht. Sie alle hoffen darauf, eines Tages in ihre Heimat zurückzukehren oder von der Regierung ein neues Zuhause zu bekommen.

Luca, 13, Tskaltubo

Salome, Binnenvertriebene, vor ihrem Haus im Flüchtlingslager, Tserovani

„Ursprünglich komme ich aus Abchasien, ich kam vor 30 Jahren hierher. Wir müssen hier leben, wir haben keine bessere Wohnung bekommen. Ich weiß nicht, ob wir zurückkehren werden oder was als nächstes passieren wird. Vielleicht werden wir ein neues Zuhause bekommen, viele haben schon eines, aber viele sind ohne geblieben. In der Ukraine herrscht Krieg, und wir wollen dorthin, um zu kämpfen, aber wir dürfen nicht. Ich weiß, dass wir dem Schicksal ausgeliefert sind, aber eines Tages werden wir vielleicht in unsere Heimat zurückkehren.“

Merabi, 1992 aus Abchasien geflohen, in seinem Zuhause, einem verlassenen Hotel in Tskaltubo

Jana Islinger (*1999) lebt und arbeitet als Portrait- und Dokumentarfotografin in München. 2022 schloss sie das Fotografiestudium an der Hochschule München ab. In ihren fotografischen Projekten beschäftigt sich Jana Islinger hauptsächlich mit gesellschaftsrelevanten und sozialen Fragestellungen. Dabei steht der Mensch in seinem Umfeld mit der Frage nach der Identität und dem Platz in der Gesellschaft im Mittelpunkt.

Für ihre Arbeiten wurde sie mit dem Deutschen Jugendfotopreis (2022) ausgezeichnet, gewann den bayerischen Pressefoto Award in der Kategorie „Newcomer“ (2022) und war Finalistin bei dem LensCulture Portrait Award (2023).

Ihre Fotoarbeit „Droa – Georgien im Aufbruch“ wurde unter anderem 2023 in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht.

janaislinger.com

Eine digitale Ergänzung zur gleichnamigen Ausstellung in der Galerie nEUROPA

Fotografien: Jana Islinger
Kuration: Jan Oelker
Digitale Umsetzung: Simon Wolf
Texte: Jana Islinger
Ausstellungsdokumentation: Jan Oelker (Ausstellungsraum), Matthias Schumann (Vernissage)