Motherland
Fotografien von Tori Ferenc (Polen)
Nachdem wir mit „Fragments of War“ eine sehr männlich geprägte Ausstellung präsentiert hatten, die sich eher kognitiv erschloss, zeigt die jetzige Ausstellung eine sehr weibliche Sicht auf die Welt. Sie erschließt sich ohne viel Text eher emotional. Nicht der große politische Wurf prägt Toris Fotografie, bei ihr wird das private politisch. Ihre Herkunft, ihre Wurzeln, die Reflektion ihres familiären Umfeldes bilden den Kreis, in dem sie tatsächlich die Möglichkeit hat, die Welt in eine bessere zu ändern. Das ist ein guter Weg, der Ohnmacht zu entkommen, die einen beim Konsum der täglichen Nachrichten befällt. Insofern ist diese Ausstellung ein guter „Counterpart“ – so das Motto des diesjährigen Portraits-Awards – zur Ausstellung davor. Tori Ferenc präsentiert sozusagen „Fragments of Peace“.
Motherland ist ein generationsübergreifender visueller Dialog zwischen Fotografen derselben Familie, die nie die Chance hatten, sich zu treffen. Als fotografisches Tagebuch, das sich über Jahrhunderte erstreckt, erzählt es die Geschichte einer polnischen Familie, die durch Konflikte, persönliche Traumata, Süchte und vorzeitige Todesfälle auseinandergerissen ist.
Herausgerissene Fotos, Geisterkinder, Kriegshelden auf Blumenbeeten, tote Menschen und zittrige Kritzeleien werden Teil einer Erzählung, die einem alten Familienalbum entstammt. Es ist ein geschätztes Erbstück, das von Generation zu Generation weitergegeben wird, zusammen mit den Anekdoten über die Menschen auf den Fotos. Die Details geraten in Vergessenheit und werden von wirren Erzählern ersetzt, die die Geschichten beim Erzählen jedes Mal neu erfinden.
Es ist auch die sentimentale Reise einer Auswanderin, die in das Land zurückkehrt, das sie hinter sich gelassen hat. Familienbilder mischen sich mit Bildern von Apfelplantagen, nebligen Feldern und Storchennestern, entführen den Betrachter an einen Ort mit endlosem Sommer und einem scheinbar idyllischen Zuhause – unter der Oberfläche brodeln Spannungen.
Fotografien: Tori Ferenc
Fotografien Ausstellungssituation: Jan Oelker
Kuration: Jan Oelker
Digitale Umsetzung: Simon Wolf, Aimée Deutschmann
Texte: Tori Ferenc, Jan Oelker
Eine digitale Ergänzung zur Ausstellung vom 08.04. bis 21.06.2022 der Galerie nEUROPA
Tori Ferenc
Tori Ferenc ist eine Porträt- und Dokumentarfotografin, die 1989 in Gniezno, Polen, geboren wurde. Nach Abschluss ihres BA-Studiums der englischen Literatur und Südafrikastudien an der Adam-Mickiewicz-Universität in Poznań zog sie nach London, um in der Fotobranche zu arbeiten. Konkret konzentriert sich Tori auf die Themen Identität, Gemeinschaft und neuerdings auch Elternschaft. Sie ist daran interessiert, die Realität von Gemeinschaften zu dokumentieren, die von der Gesellschaft oft an den Rand gedrängt werden – von orthodoxen Juden im Norden Londons über irische Travellers, die sich auf Pferdemärkten versammeln, bis hin zu älteren Tänzern in englischen Tanzclubs. Ihre persönlichen Projekte wurden in The Guardian, It’s Nice That, AnOther, Vice Poland, i-D UK, Pylot, Trip Magazine, Vogue Italia, Splash & Grab und anderen Zeitschriften veröffentlicht.
Ihre Erfahrung in der Porträtfotografie ermöglichte ihr die Zusammenarbeit mit einer Vielzahl von Magazinen und kommerziellen Kunden wie The New York Times, Nike, Washington Post, Financial Times, The Telegraph, Time, Bloomberg und vielen anderen.
Sie stand auf der Shortlist des Magenta Foundation Flash Forward Awards (2017 und 2019) und ihre Arbeiten wurden bei der Royal Photographic Society International Exhibition (2017), dem Portrait Salon (2018) und dem Palm* Photo Prize (2020) gezeigt. Ihr jüngstes Projekt In Waiting, das sich mit ihrer eigenen Mutterschaft auseinandersetzt, war Teil der Ausstellung zum Taylor Wessing Portrait Prize 2021 und wird gegenwärtig im Rahmen des PORTRAITS Hellerau Photography Award 2022 in den Technischen Sammlungen Dresden präsentiert. Tori Ferenc lebt und arbeitet in London
Gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien