„Jugendkultur als Front: Belarus”

Das Projekt sollte sich plangemäß mit den in Belarus verbotenen Musikern beschäftigen. Da sich bereits im November 2007 die Bands mit dem Regime auf einen „Deal“ geeinigt hatten, war es schwierig, adäquate Musiker und Referenten zum Thema einzuladen. Der „Deal“ beinhaltet die völlige Enthaltung der Bands von politischen Aussagen und Auftritten zugunsten der Opposition, dafür dürfen sie jedoch wieder öffentlich spielen und sind im Radio zu hören. Die kritische Situation veranlasste uns, Mittel und Wege von Zensur in der Musik zu diskutieren. Mit Thomas König, einstiger Kulturhausleiter, Musiker und Musikjournalist war ein wunderbarer Gesprächspartner gefunden, der die Zensur in der DDR aus verschiedenen Sichtweisen kennt. Ihm zur Seite stand Rusia, die als Musikerin und kritische Journalistin in Minsk die aktuelle Lage sehr gut schildern konnte und selbst von den Maßnahmen betroffen ist. So konnte herausgearbeitet werden, dass neben den „klassischen“ Instrumenten der staatlichen Indizierung von Bands allerhand andere Mittel benutzt werden. So können drakonische Maßnahmen gegen einzelne Musiker ein ganz effektives System der „Selbstzensur“ bei anderen Musikern erzeugen. Die in der DDR übliche Bürokratie der Anerkennung der Bands, Kontrolle der Texte, Überwachung von Auftritten usw. findet sich in Belarus heute nicht. Dafür gibt es gleich ein Bündel an Maßnahmen sogenannter „ökonomischer Zensur“, in dem staatliche Maßnahmen repressiv und andauernd angewandt werden bis den Musikern oder Veranstaltern schlichtweg das Geld ausgeht. Viele Clubs mussten bereits schließen, Kulturförderung für eine aktive Soziokultur gibt es ohnehin nicht, viele Musikgruppen haben sich aufgelöst, weil sie von Veranstaltern nicht mehr gebucht wurden, nachdem staatliche Stellen auf die Veranstalter ökonomisch Druck ausgeübt hatten. Vor der Diskussion zeigten wir den Kurzfilm „Za Svabodu 1…2…3“ (dt.: „Für die Freiheit 1…2…3“), in dem Kulturaktivisten und Partner bei einer Seminarreise durch Belarus gezeigt werden einschließlich der vorübergehenden Arrestierung der Teilnehmer durch den KGB. Am Rande des Projektes organisierte Konzerte geben in dem Film einen kleinen Einblick in die belarussische alternative Kultur. Mit dem Film „Flüstern und Schreien“ gewannen vor allem die Jüngeren einen spannenden Einblick in die Lage der Musiker, als dem DDR-Regime schon langsam die Puste ausging. In Chemnitz, Berlin und Dresden waren die Diskussionen gut besucht, während in Görlitz und Bautzen das Interesse eher den Filmen galt.

Zum Thema Belarus gab es im Rahmen von Rock4Peace 2008 drei verschiedene Ausstellungen. In Görlitz konnten wir unter professionellen Umständen in der Galerie Klinger im Rahmen der Weltkunst-Reihe den Fotografen Andrei Liankevich und den Architekten und Philosophen Artur Klinau in einer Gemeinschaftsausstellung präsentieren. Mit beiden Künstlern arbeiten wir schon seit längerem eng zusammen, bis an jenem Tage vor der ansonsten von Ruhe geprägten Galerie Klinger die ersten gewaltigen Schüsse fielen. Die dritte Projektwoche von Rock4Peace 2008 begann mit einem mächtigen Kugelhagel von Quentin Tarantino, während die Gäste aus Minsk angesichts der schießenden Wehrmachtssoldaten unsicher schienen. Am Abend fanden sich dann aber noch 45 unerschrockene Görlitzer durch die filmischen Kriegswirren zur Vernissage. Da die Ausstellung von Andrei Liankevich bereits zweimal in Dresden zu sehen war, nahmen wir die Gelegenheit wahr, die vom „Office for a Democratic Belarus“ in Brüssel angebotene Schau „Poster Art from Belarus“ zu zeigen. Alternative Künstler nehmen nicht nur das System auf die Schippe, sondern formen damit gleichzeitig einen eigenen Kunststil. Im Studentenklub Aquarium waren die Poster bis Dezember 2008 zu sehen. Im Chemnitzer Weltecho zeigten wir die Ausstellung „Klipzensored“, die auf Stellwänden und in detaillierten Fernsehbeiträgen die Geschichte der Musikzensur in der DDR, der BRD und Ungarn seit den 50er Jahren jugendgemäß und plastisch darstellt.

Artur Klinau, der nicht nur Fotograf, sondern auch Autor des höchst anspruchsvollen und unterhaltsamen Buches „Minsk – die Sonnenstadt der Träume“ ist, gab im Verlauf der Projektwoche noch in drei Lesungen in Görlitz, Chemnitz und Dresden einen Einblick in sein Buch. Auch musikalisch konnten wir einiges bieten. Noch bei der Planung des Projektes ereilte uns die Nachricht der schweren Erkrankung des mittlerweile verstorbenen Musikers Cäsar, so dass wir erst mit der reunierten Band Sandow einen passenden Ersatz fanden. Ihre Konzerte in Görlitz und Bautzen sollten musikalisch an die Zensur in der DDR erinnern, in Gesprächen mit den Musikern kamen dabei spannende Details zur Sprache. Aus Belarus konnten wir die Ethno-Folk Gruppe Dzhambibum begrüßen, die musikalisch einen hochwertigen Beitrag leisteten und somit bewiesen, dass qualitativ hochwertige Musik trotz der widrigen Umstände in Belarus entsteht. Begleitet wurden Dzhambibum in Chemnitz und Berlin von der Chemnitzer Gruppe Solche, die 2007 bereits mit Rock4Peace Erfahrungen in Minsk sammelte. Bekannte Filme über das nicht ganz offizielle Belarus, so „89mm“ oder „Ploshsha“ rundeten das Programm in Chemnitz und Bautzen ab. Unser Projekt Rock 4 Peace 2007 und 2008 endete in einem großartigen Abendprogramm in der Berliner Volksbühne im Grünen Salon. Gemeinsam mit unseren befreundeten Vereinen Jugend bewegt Europa, Lahoda, deutsch-belarussische Gesellschaft, împreuna und weiteren strömten unserer Überraschung soviele Gäste herbei, dass der Saal alsbald zu klein schien. Ludmila Asipienka las mit Gästen aus ihrem Buch „Zu Hause unerwünscht – belarussische Studenten im Exil“ durchaus auch heitere Geschichten obgleich des ernsten Themas. Im Anschluß sorgten Solche und Dzhambibum für Tanzfreuden auf dem Parkett, die DJ AK (Eastblok Music) mit Musik aus Osteuropa bis in die späten Nachtstunden verlängerte.

Künstlerische Leitung: Mirko Sennewald
Produktionsleitung: Mirko Sennewald
Produktionsassistenz: Falk Pinkert, Ulyana Minich

Beteiligt waren 2008 die folgenden Gastspielorte:

 

Alte Brauerei Annaberg
Weltecho Chemnitz
VILLAkeller Leipzig
Galerie Klinger Görlitz
Klub Aquarium Dresden
Thalia Kino Dresden
Reisekneipe Dresden
Vierradenmühle Görlitz
Steinhaus Bautzen
Friedrich Naumann Stiftung Berlin
Grüner Salon an der Volksbühne Berlin
Lustgarten zur Bunten Republik Neustadt