Transkaukazja 2013 – Sabina Shikhlinskaya (AZ)

Sabina Shikhlinskaya, geboren 1952 in Baku, gilt als eine der Begründerinnen der Konzeptkunst in ihrem Heimatland Aserbaidschan. Nachdem sie zuerst als Malerin startete, widmet sie sich seit den 90er Jahren der zeitgenössischen Kunst mit Zeichnungen, Installationen und Video-Art, die das Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft widerspiegeln und erreichte damit bald auch international große Aufmerksamkeit mit zahlreichen Ausstellungen und Werken in Privatbesitz weltweit.

“Memorabilia”

“Ich habe mein Landart-Objekt am Neiße-Ufer, direkt am Dreiländereck Deutschland-Polen-Tschechien platziert. Dazu habe ich ein Stück Holz mit Verzweigungen nahe der Wurzel verwendet, als Symbol für Europa mit seinen Ländern. Die Schlösser und Schlüssel, aus der Sowjetzeit stammend, habe ich als Artefakte aus einer Zeit verwendet, in der die Region durch Grenzen getrennt war. Als Teil meines Konzepts, habe ich die Schlösser und Schlüssel anschließend in den Fluss geworfen – die einzige historische natürliche Grenze und Ader der Region.”

Fotos: Sabina S. & HW

“Ohne Grenzen”

“Diese Installation symbolisiert die historische Periode der drei Länder – Deutschland, Polen und Tschechien, als sie noch durch undurchlässige Grenzen getrennt waren. Die geschichtlichen Beziehungen dieser drei Länder sind so eng mit einander verbunden, dass jede gewalttätige Trennung so absurd wäre wie Türen, die auf einem offenen Feld aufgestellt werden.”

Sabina Shikhlinskaya bei “Woman_looking from”

Sabina Shikhlinskaya ist eine freischaffende Künstlerin und unabhängige Kuratorin. Sie arbeitet mit Malerei, Video und Fotografie. Nach Meinung von Sabina existiert der Begriff „Gender“ in der Natur nicht. Er bezeichnet vielmehr alles, was in einer Kultur, in einer Gesellschaft als typisch für ein bestimmtes Geschlecht angesehen wird. „In Aserbaidschan sind die sozialen Möglichkeiten der Menschen ungleich“, – sagt die Künstlerin. „Zum Beispiel verbreitete Armut, weswegen nicht alle studieren können oder eine Ausbildung bekommen. Ich denke, in diesen sozialen Gruppen gibt’s Geschlechterrollen und Geschlechteridentität. In der Gesellschaft sind klassische Frauen- und Männerberufe fest geprägt: Frauen putzen Straßen und arbeiten als Reinigungskraft, Männer machen Gartenarbeit. Das ist ein Klischee, das die Gesellschaft für uns anbietet“.

Zum Projekt „Women_looking from“ hat Sabina ihr Video “Klaustrophobie“ (Zweikanalvideoinstallation, 35 Min., 2013) präsentiert. „Die Halbinsel Abscheron, auf der sich Baku, die Hauptstadt Aserbaidschans befindet, wird vom Kaspischen Meer umspült. Seine grenzenlosen Sandstrände, das türkisblaue Meer und die unendliche Horizontlinie rufen eine der wichtigsten und prägendsten Kindheitserinnerungen an den Ort hervor, an dem ich geboren wurde und wo ich heute lebe und arbeite. Der ökonomische Boom und das Fehlen jeglicher strenger Kontrollen bei der Bauplanung in der Stadt und Umgebung führten zu globalen und unwiderruflichen Veränderungen der Umwelt. Eines der Phänomene in der zeitgenössischen aserbaidschanischen Architektur bilden die Mauern, die in den letzten Jahren rasant entstehen. Sie sind oft aus Granit oder Marmor errichtet und bizarr gestaltet. Sie blockieren die Zugänge zum Meer und fungieren als Schutzwälle von privaten Siedlungen. In unserer Welt, die nach Offenheit, persönlicher unbeschränkter Freiheit und der freien Wahl zur Selbstäußerung strebt, wirkt heute jeder Mauerbau um so parodoxer…“

„Der Weg zum Licht“ (Installation, Fotos Sabina Shikhlinskaya, Sprache Ute Bergmann, 2013) ist Sabinas Inspiration in Dresden. In unserer modernen Gesellschaft gehört die Fürsorge und Pflege der älteren Generation, trotz der Verschiedenartigkeit der Traditionen, zu den vorrangigen und wichtigen Aufgaben im Kodex des moralischen Verhaltens. Manchen ist es vergönnt, ihren Lebensweg im Kreis der Familie zu beenden, manche erleben es in der Einsamkeit oder im Altersheim. Die Antwort auf die ewige Frage, was uns erwartet, nachdem das “Erdenleben” vollendet ist, wird von der Wissenschaft und Religion auf verschiedene Weisen traktiert. Die Dunkelheit des Tunnels ist nur der Weg zum Licht…”

Aus der Serie “Konfrontation” ( Fotografie, 2011). Fotoserie (4 Blätter x A2) ist als Reportagebilder den aserbaidschanischen Frauen gewidmet und beweist auch ihre Stärke – solidarischer Kampf gegen illegale Baustellen und andere soziale Proteste. Der Widerstand der Bürger gegen illegale Bebauung und Rodung von Grünanlagen in einem Wohnviertel im Zentrum Bakus. Die am Konfliktort eintreffende Polizei gewährte ihre Unterstützung der “starken” Seite. Ohne sich um Details der Vorgänge zu kümmern, blockierte sie den friedlichen Protest der Bevölkerung, womit sie den ungesetzlichen Machenschaften eines hohen Beamten Beistand leistete, der Eigentümer des illegalen Bauobjekts war. Eine besondere Rolle im Widerstand gegen die Gesetzesbrecher spielten die Bewohnerinnen des Innenhofs, indem sie die historisch traditionelle Charakterstärke der kaukasischen Frauen bewiesen. Im Ergebnis des einige Tage andauernden Widerstands wurde der Protest vom Bürgermeister erhört, der Maßnahmen für die Wiederherstellung der Gerechtigkeit ergriff.

„Die in sich gekehrte“ (Fotografie, 2013). Der Ölboom nach dem Zustandekommens des “Jahrhundertvertrags” in Aserbaidschan veränderte grundlegend die ökonomische und soziale Struktur des Landes, die noch zu Sowjetzeiten nach dem Prinzip der Gleichheit entstanden war, und teilte die Gesellschaft in arm und reich. Nach seltsamen Vorstellungen gelten in Aserbaidschan einige Berufe als nur “weiblich” oder “männlich”. Die Straßenreinigung gilt als ein “weibliches” Privileg mit einer symbolhaften Bezahlung, die am höchsten bezahlten Berufe in der Ölbranche dagegen als ein “männliches” Betätigungsfeld.