Die Treffpunkt ostZONE Veranstaltungen in der Südvorstadt fanden in Kooperation mit Verein der Vietnamesen in Dresden e.V. statt.
01.10.2021 – Marktcafé
„Schneidern und Nähen: DDR – heute“ mit der Künstlerin Xenia Gorodnia
Jeans sind wichtig. In der DDR-Zeit nähten vietnamesische Vertragsarbeiter die Hosen mit Kultstatus. Bui Thu Hien, Thran Hung, Hung Cao The, Truong Binh und Han berichten uns, wie sie sich nach Feierabend in ihren Wohnheimen an die Maschinen setzen. Verschiedene Marken, aber Levi’s und Wrangler waren die Renner. Die Taschen hinten – rasch ein bestimmtes Muster genäht – und schon war es eine Markenjeans. Aber die Nieten? Hung Cao The hat welche mitgebracht: Er legt sie auf den Boden, holt mit dem Hammer aus, und die Nieten sitzen perfekt im Stoff. Dann noch mit Steinen über den nassen Stoff – stonewashed. Die perfekte Levi’s. Viele Fragen folgen. Heute führt Bui Thu Hien eine Änderungsschneiderei.
Xenia Gorodnia beginnt während der Zeitzeugenberichte zu nähen. Doch die Nähmaschine ist zu laut. Sie zeichnet daher mit. Als Bui Thu Hien an der Maschine zeigt, wie schnell sie eine Corona-Maske nähen kann, beginnt Xenia zeitgleich mit ihrer Nähmaschine zu „zeichnen“. Ein Jeans-Bild entsteht.
Xenia Gorodnia: Genähte Stoffcollage – Stoffbild
“Während in der Veranstaltung die ehemaligen vietnamesischen Vertragsarbeiter:innen von ihrer Arbeit und dem Alltag in der DDR-Zeit erzählten und sich mit den Teilnehmer:innen austauschten, pickte ich einige prägnante Schlüsselbegriffe aus diesen Gesprächen heraus und hielt diese auf eine besondere Art und Weise fest. Einer der großen Diskussionsgegenstände war die in der DDR sehr populäre Veritas-Nähmaschine, die ich netterweise zur Verfügung gestellt bekam und mit der ich die Begriffe visuell abbilden konnte, indem ich sie als Bilder, Wörter oder Zahlen auf ein weißes Stoffstück nähte. Dadurch sind auf dem Stoffstück Motive entstanden wie beispielsweise die Veritas-Nähmaschine selbst, Jeanshosen, deren Taschenarten und Nieten, oder verschiedene Zahlen, die für damalige Löhne oder die Quadratmeterzahl der Wohnfläche und Anzahl der dort lebenden Personen stehen.” (Xenia Gorodnia)
01.10.2021 – Stadtteilspaziergang
„Südvorstadt erinnern“ mit Bui Truong Binh, Hung Cao The und der Künstlerin Xenia Gorodnia
Die Südvorstadt hat sich verändert. Nur ein Wohnblock steht noch, wo zu DDR-Zeit Vietnamesen lebten. Bui und Hung erzählen. Weiter zur Gutzkowstraße 30. Die breiten Treppen hoch zur 3. Etage. Amitabha Learning Center. TinhTong Hoc Hoi öffnet uns. Lebt schon lange in Dresden. Nimmt uns mit, nächste Tür. Schuhe ausziehen. Eintreten. Staunen. Ein vietnamesisch-buddhistischer Tempelraum. Liebevoll geschmückt. Goldene Statuen. Buddha. Sitzkissen. Jeden Morgen um 5 Uhr meditiert TinhTong drei Stunden. Am Wochenende kommen viele vietnamesisch Sprechende dazu. Herzliche Einladung. Weiter geht es in den Hof des Hauses. In den Keller. Ein Schild: Verein der Vietnamesen in Dresden e.V. Riesig. Proberaum für den Frauenchor. Eingerichtetes Aufnahmestudio. Vereinsraum. Fotos von Feiern. Geselligkeit ist sehr wichtig. Viele Pokale der eigenen Fußballmannschaft.
Perspektivwechsel: zurück im Raum leitet uns Xenia Gorodnia an, unsere Eindrücke mit links aufzuzeichnen. Wir saßen nebeneinander und freuten uns. Neue Erfahrung.
Xenia Gorodnia: Gedrucktes Plakat mit Collagen von Teilnehmer:innen
“Vor dem Stadtteilspaziergang in der Südvorstadt, der zwei wichtige Orte der vietnamesischen Diaspora vorstellte, haben die Teilnehmer:innen die Aufgabe bekommen, sich zwei bis drei Begriffe zu merken, denen sie während dieser kleinen Reise begegnen würden. Anschließend wurden alle Begriffe zusammengetragen, worunter sich u.a. solche fanden wie „Meditation“, da der Spaziergang in einen buddhistischen Tempel führte, oder auch „Steinwaschen“, das als einer der Stoffbearbeitungsschritte beim Kopieren der westlichen Jeans von vietnamesischen Vertragsarbeiter:innen in der DDR unter häuslichen Bedingungen durchgeführt wurde. Da während der Veranstaltung übergreifenden Themen wie Integration und Assimilation immer wieder eine wichtige Rolle spielten, war es mein Ziel, mit den Teilnehmer:innen eine experimentelle künstlerische Technik auszuüben, die zumindest feinmotorisch eine annähernde Ähnlichkeit mit integrativen und/oder assimilativen Prozessen aufweist, die u.a. auch das Lernen von etwas Neuem und/oder das Aufräumen mit Vorurteilen implizieren. Da meine beiden Fragen – „Kann jemand gut zeichnen?“ und „Kann jemand mit Links zeichnen?“ – von allen mit „Nein“ beantwortet wurden, haben die Teilnehmer:innen die Aufgabe bekommen, die gesammelten Begriffe mit der linken Hand zu zeichnen. Anschließend wurde über diese spannende Erfahrung gesprochen. Die entstandenen Zeichnungen habe ich mittels digitaler Bearbeitung und der Collage-Technik zu einem Bild zusammengefasst.” (Xenia Gorodnia)
02. & 09.10.2021 – Biografie-Kunstworkshop
Zwei Workshoptage mit den Künstlerinnen Janina Kracht und Xenia Gorodnia
Tag 1 Der Raum ist schön warm. Xenia hat zwei kleine Tische mit der Technik für die Stop-Motion-Filme vorbereitet. Janinas Material, Bogen zum Falten von Papierwürfeln, 3D-Gipsformsteine, bunte Pappe, Papier und Stifte liegen bereit.
Janina hält bei der Vorstellungsrunde einen Papierbogen hoch. Linien und Muster. Fragende Gesichter. Erklärungen zur Kunst am Bau. Ihr Vater, Friedrich Kracht, entwickelte das serielle Formsteinsystem. Nach der Wende wurde es nicht mehr benutzt. Wir können es heute symbolisch zum Leben erwecken.
Xenia bittet uns um Stichwörter zur DDR-Zeit. Trabant, Poliklinik, Apparatschik, LPG, Habicht, die Begriffe sprudeln. Mit geschlossenen Augen dazu DDR-typische Farben benennen. Eher blasse Farben. Inge protestiert. Orange, knallorange. Verteilen der Papierbögen. Bemalen. Sofort entstehen unterschiedliche Elemente. Faszination. Sind Erinnerungen damit verbunden? Gibt es diese Formen noch in Dresden? Gibt es prägende Architekturen in euer Geburtsstadt?
Xenia zeigt an den Stop-Motion Stationen, wie die fertigen Würfel und Gipsformsteine unter dem Handy bewegt werden. Lebensgeschichten darstellen mit Farbwürfeln.
Janina Kracht: Formsteinsysteme | Xenia Gorodnia: Stop-Motion Filme
“Das Spiel mit DDR-Kunst. Das Formsteinsystem der Künstler Karl-Heinz Adler und Friedrich Kracht (1970-1990)
Das serielle Formsteinsystem besteht aus 12 Grundsteinen mit einfachen grafischen Grundelementen und bietet vielfältige Gestaltungen bezüglich Farbe und Form, die von streng geometrisch bis bildhaft ornamental unterschiedlichen Charakter haben können. Im Workshop wurde durch freies Gestalten mit Farben, Strukturen und anderen grafischen Bearbeitungen diese 60 Jahre alten Grundformen von den Workshop-Teilnehmer:innen auf Papier oder mit Gipssteinformen bearbeitet und zu neuen Kombinationen zusammengefügt. So wurden beispielsweise typische Farben aus dem DDR-Alltag zusammengetragen und zur Farbgestaltung der Formsteine genutzt.
Die gestalteten Elemente wurden mit der Stop-Motion-Technik in kurzen Filmsequenzen in Szene gesetzt und spielerisch zu Mustern und wechselnden grafischen Figuren animiert. Mit Papierwürfeln und 3D-Gipsformsteinen des Formsteinsystems wurden räumliche Varianten der Gestaltung erprobt und zu fantasievollen Strukturen zusammengefügt. Der spielerische Umgang mit Farben und Formen ließ einen neuen Blick auf die alte Kunst der DDR- Zeit zu.” (Janina Kracht und Xenia Gorodnia)
Tag 2. Die Teilnehmenden haben sich gut vorbereitet. Unterlagen und Erinnerungsstücke werden hervorgeholt. Alle wollen sofort loslegen.
Wolfgang zeigt einen Zeitungsartikel. Seine Erlebnisse 1977 bei der NVA. Das Erntekommando. Hilfe bei der Zuckerrübenernte als bewaffnete Organe. Das Wichtigste stand nicht dort: Ein Kamerad fehlte plötzlich. Gefunden wird er an der Orgel in der Kirche, vertieft in ein Stück von Bach. Hung erzählt von Moritzburg, Ho-Chi-Minh und DDR. 1955 kamen 59 vietnamesische Kinder ins Kinderheim Käthe-Kollwitz. 1956 fast 200 ins Maxim-Gorki-Heim nach Dresden. Vor kurzem traf er eine der Betreuerinnen. 90 Jahre. Wie erinnern? Am langen Tisch konzentrierte Arbeit. Nebenbei Gespräche. Die Kinder malen Pferde. Ihre Gegenwart.
Was bleibt? Die farbenfrohen Gipsformsteine, die Papierwürfel, die Stop-Motion Filme, die Bilder und die Briefe. Eindrucksvolle Zeugnisse der Biografie-Arbeit durch Kunst.
Das Projekt Treffpunkt ostZONE. Erinnern und gestalten wird gefördert durch das House of Resources Dresden +. Diese Maßnahme wird mitfinanziert mit Steuermitteln auf Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes im Rahmen des Landesprogrammes Integrative Maßnahmen.