Nach Königstein und Nebelschütz besuchten wir am 09. Juli 2022 Oschatz. Auch diesmal ging es wieder um „Brüche und Brücken der Industriekultur in Sachsen“. Oschatz hat die Transformation nach dem Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft schwer getroffen. Viele Menschen sind daraufhin abgewandert. Doch es gibt auch Neues und Menschen, die Oschatz heute mitgestalten und weiterentwickeln.
Im Mittelpunkt stand der Protagonist Günther Hunger, welcher Deutschlands erstes Eisenbahn-Postkarten-Museum im Oschatzer Südbahnhof betreibt. Günther Hunger, früher Journalist und Fotograf, kennt scheinbar unendlich viele Anekdoten, die er unterhaltsam zu erzählen weiß. Dieses Postkarten-Museum ist wie eine kleine Goldgrube, wenn es um Bilder, Zeitgeist und Geschichten rund um das Thema Eisenbahn geht. Während der Dialogwanderung brachte Hunger aber auch immer wieder persönliche Bezüge mit ein, etwa aus seiner Tätigkeit im Kulturbund der DDR oder von den Versuchen, in den 1990er Jahren Fotogalerien in Oschatz zu etablieren.
Die Dialogwanderung unter dem leicht provokanten Namen „Abstellgleis Ost (?)“ führte vom Eisenbahn-Postkarten-Museum zunächst in den benachbarten O-Park, wo wir die Installation „O-Schatz, wo kommst du her?“ von Bianca Seidel besuchten, welche während der Aktionen von „Sachsen im Dialog“ im Oktober 2020 entstanden war. Dann ging es durch die Oschatzer Innenstadt zum E-Werk Oschatz, dem ehemaligen Elektrizitätswerk der Stadt, in welchem mit dem Soziokulturellen Zentrum ebenfalls eine post-industrielle Nutzung Einzug gehalten hat. Mitarbeiterin Janett Rohnstock gewährte Einblicke in die Entstehungsgeschichte als Konzert- und Party-Location und in die heutige breite Nutzung als Kontakt- und Begegnungsraum für Kinder, Jugendliche & Erwachsene jeden Alters und jeglicher Herkunft.
Anschließend begrüßten wir die Gäste zur Premiere des Films „Günther“ von Susanne Kontny aus Leipzig, welche Herrn Hunger in den Wochen zuvor in seinem Museum getroffen und gefilmt hatte. Mit dokumentarischer Präzision und künstlerischer Stilistik hat die junge Filmerin ein Portrait geschaffen, welches persönliche Einblicke gewährt und dennoch eine objektive Distanz wahrt. Der Film regte die Anwesenden im Nachgang zur Diskussion an, teils auch kontrovers, jedoch immer sachlich. Von den Erlebnissen der Umbrüche 1989/90 über heutige Herausforderungen für die Oschatzer Stadtgesellschaft bis hin zu Unsicherheiten und Fragen an die Zukunft wurde ein großer Bogen gespannt. Dabei kamen Themen wie gesellschaftlicher Wandel, Gemeinwohlorientierung und Geschlechterrollen zur Sprache, aber ebenso Einsamkeit, Sammelleidenschaft und mit welcher Kleiderordnung man einen Kredit bei der örtlichen Sparkasse bekommt.
Moderator Marcus Oertel von Kultur Aktiv dankte allen Anwesenden für den offenen Austausch. Günther Hunger bemerkte, wie wichtig ihm die Möglichkeit war, seine Geschichte zu erzählen. Davon brauche es mehr Möglichkeiten! Die Diskussion zeigte deutlich, dass Oschatz weit von einem „Abstellgleis Ost“ entfernt ist, so lange Menschen so leidenschaftliche und engagiert für ihre Heimatstadt diskutieren!
Ein großes Dankeschön geht nochmals an Günther Hunger und das Eisenbahn-Postkarten-Museum, an Susanne Kontny für den anregenden Film, an Dörte Grimm und Michael Merkel aus der Jury für ihre Anwesenheit und ihre Diskussionsbeiträge, sowie an unsere Partner vom E-Werk Oschatz für die Unterstützung vor Ort.
Fotos: Andreas Görl (pixxelgewitter.de)
Kunst im Dialog
„Kunst im Dialog“ möchte Raum für Begegnungen und einen Meinungsaustausch auf Augenhöhe schaffen, der herrschenden Konflikten entgegensteht und den gesellschaftlichen Zusammenhang schützen und stärken kann. Menschen sollen ins Gespräch gebracht werden und die ländliche Perspektive eine Stimme bekommen.
Dafür werden in drei Gemeinden aus dem ländlichen Raum – Königstein, Nebelschütz und Oschatz – biografischen Kurzfilme und Dialogwanderungen mit Bürger:innen vor Ort stattfinden.
Zeitraum
07.2021 – 12.2021
Projektkoordination
Marcus Oertel (Projektleitung)
Projektpartner
Werkstatt 26
E-Werk Oschatz
Steinleicht e.V.
Gefördert durch
Gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien