“Unabhängige Kulturszene in Belarus – Entwicklungen und Perspektiven”

So lautete der Titel eines Workshops, der in der Internationalen Bildungs- und Begegnungsstätte “Johannes Rau” (Minsk) am 25.11.07 durchgeführt wurde. Als Podiumsgäste wurden bekannte DJ’s, VJ’S, Musiker, Kulturmanager und die beiden Begründer des „Freien Theaters“ Minsk eingeladen, die sich mit der belarussischen Kulturszene auseinandersetzen und sich in verschiedenen kulturellen Bereichen sehr gut auskennen. Sie vermittelten den Anwesenden einen Überblick über die Probleme und Schwierigkeiten der inoffiziellen belarussischen Kultur. Mirko Sennewald leitete das Treffen mit einem kurzen Exkurs über das kulturelle Leben in Deutschland ein. Er berichtete, dass in Deutschland offizielle und unabhängige Kultur parallel existieren, sicher auch mit manchen Problemen. 1989 erlebte die unabhängige Kultur, die in der DDR inoffiziell im “Underground” existierte, den bisherigen Höhepunkt ihrer Popularität. Heute pflegt die deutsche unabhängige Szene intensive Kontakte mit der inoffiziellen belarussischen Kulturszene.

Schon immer wurde versucht, offizielle und unabhängige Kulturen in Einklang zu bringen, was beinahe unmöglich ist. Deshalb ist es grundlegende Aufgabe eines modernen Staates, diese beiden Kulturen einander näher zu bringen und mindestens der unabhängigen Kultur Freiräume zu ihrer Entfaltung zu bieten. Leider gibt es sehr viele Faktoren, die dem Entwicklungsprozess der unabhängigen Kultur in Belarus im Wege stehen. Dies ist vor allem durch die historische Entwicklung, aber auch durch Besonderheiten der Mentalität der belarussischen Gesellschaft bedingt. Eine der typischen Charakteristiken eines Belarussen ist Toleranz, die sehr schnell zur Gleichgültigkeit und Trägheit werden kann. In Belarus gedeiht zwar die sogenannte “Partisanschina”, die im Untergrund tätig ist, mit manch spannenden Ideen, aber die Akteure sind einfach nicht imstande, diese in konkrete Projekte umzusetzen.

Das Hauptmerkmal einer unabhängigen Kultur ist die Kreativität; die Verarbeitung und Umsetzung aktueller Fragen in die Kunst. Doch genau an diesen Fragen, so einer der Podiumsgäste, scheint es vielen Belarussen zu fehlen. Als Grund wurde die sowjetische Ausbildung genannt, die weder Improvisation, noch die Lust auf Neues oder Unbekanntes förderte.

Heute ist in Belarus ein großer Mangel an unternehmungslustigen und gut ausgebildeten Kulturmanagern und Producern zu verzeichnen. Dennoch wurde in der jüngeren Vergangenheit auch bewiesen, dass einige Belarussen durchaus imstande sind, qualitativ hochwertige Projekte europäischer Spitzenklasse durchzuführen. Der Schlüssel zum Erfolg, so einer der Gäste, liegt in dem ständigen Kontakt mit Menschen aus anderen Ländern und der Förderung von Kulturaustausch und Teamarbeit. Des Weiteren müssen die Projekte zeitgemäß sein und die Menschen bis ins Tiefste berühren.

Die Perspektive der unabhängigen belarussischen Kultur sei, den Staat kontinuierlich dazu zu zwingen, sein Verhältnis zur unabhängigen Kultur zu ändern und den Akteuren Freiräume für ihre Fragen und ihre Kunst zu bieten, statt wie bisher die Akteure nicht nur finanziell in die Knie zu zwingen, sondern mit Verboten und Massenverhaftungen zusätzlich einzuschüchtern.

Der Diskussion folgten etwa 30 geladene Gäste, einerseits Studenten der Staatlichen Universität, andererseits Aktivisten verschiedener nichtregistrierter belarussischer Organisationen, obendrein beehrte mit Artur Klinau einer der bedeutendsten und bekanntesten zeitgenössischen Künstler der belarussischen Kontrakultur die Debatte. Das Ziel, vor allem den jungen Menschen vorzuführen, dass es mehr als genug Fragen gibt, die zu stellen sich lohnt, wurde nur zum Teil erreicht. Zwar gab es Wortmeldungen aus dem Publikum, dennoch verfolgten 80% der Anwesenden die Debatte eher passiv. Nachgespräche haben jedoch eine mehr als positive Resonanz ergeben, so könnte den jungen Menschen durch eine Reihe von derartigen Veranstaltungen gelernt werden, Fragen an sich und seine Gesellschaft zu stellen. Die bisher schon aktiven Künstler lobten vor allem, dass es eine derart einzigartige Veranstaltung überhaupt geben konnte, denn auch die Kommunikation der verschiedenen Künstler untereinander über gemeinsame Probleme und Perspektiven steht im heutigen Belarus allenfalls am Anfang. Wenn die Künstler den Staat wirklich zur Veränderung zwingen wollen, dann steht am Anfang der interne kulturelle Dialog. Ein extern (von ausländischen Institutionen) gefördertes Kulturforum, das offen Probleme anspricht, könnte ein erster konkreter Schritt sein, um Belarus der Freiheit ein wenig näher zu bringen.

Podium (v.l.n.r.): Iryna Shumskaya – DJ, musician, cultural scientist, independent organizer of concerts, member of Belarusian Writers’ Union Vladislav Buben – DJ, VJ, musician, independent organizer of concerts Nikolai Khalezin – actor, manager, Free Theatre Minsk Natalia Koliada – actor, manager, Free Theatre Minsk Mirko Sennewald – cultural manager, Kultur Aktiv, Germany Aliaksandr Apeikin – Moderation