zusammen.HALT – Zeitzeugen, Geschichten, Orte

Wir treffen Menschen und besuchen Orte, die mit den Freiheitsbewegungen und dem Protest gegen das bestehende System der DDR und anderer Länder des ehemaligen Ostblocks verbunden sind: Anna Maria Mydlarska, Günter Starke, Heidi Bohley, Luiz Mazuze, Jürgen Gottschalk, Lutz Kandler und der Besichtigung eines ehemaligen Jugendwerkhofs.
Beitragsbild Zeitzeugen - zusammen.HALT

Anna Maria Mydlarska
Ein Leben mit der Solidarność-Bewegung. Gdańsk/PL

Günter Starke
Alternatives Leben in der DDR. Neustadt, Dresden/DE

Heidi Bohley
Zwischen Halle und Havel – der Mut zur Freiheit. Halle, Dresden/DE & Prague/CZ

Luiz Mazuze
Migrant:innen in der DDR, Dresden/DE

Besichtigung eines ehemaligen Jugendwerkhofs
Führung mit Dr. Maria Pretzschner, Museumspädagogin, Festung Königstein/DE

Jürgen Gottschalk
Mail Art und Stasi-Verfolgung, Dresden/DE

Lutz Kandler
Malerei auf der Brücke Blaues Wunder, Dresden/DE


Anna Maria Mydlarska: Ein Leben mit der Solidarność-Bewegung. Gdańsk/PL

Zeitzeuge - Anna Maria Mydlarska - zusammen.HALT
Anna Maria Mydlarska (© privat)

1980 erlebte Anna Maria Mydlarska die Entstehung der Solidarność-Bewegung während des Auguststreiks in der Danziger Werft. Sie trat sofort in die Gewerkschaft Solidarność ein. Ab 1981 arbeitete sie als Journalistin und Dolmetscherin für das Nationalkomitee der Solidarność. Sie dolmetschte die Interviews von Lech Walesa während des I. Nationalen Solidaritätskongresses in Danzig. Anna Maria Mydlarska setzte ihre Arbeit für die Solidarität in den achtziger Jahren fort. Sie traf sich mit ausländischen Journalisten und besuchte informell das Büro von Lech Wałęsa in Danzig. In den Jahren 1988-89 arbeitete sie für das Nationalkomitee der Solidarność.

1990 besuchte sie eine vom Know-How Fund und der britischen Regierung geförderte Journalistenausbildung in Cardiff und bei der BBC in London. In den Jahren 1990-1991 hielt Anna Maria Mydlarska an der Drake University in Des Moines, Iowa, Vorlesungen über den Übergang Polens zur Demokratie. Sie wurde Autorin und Regisseurin von Dokumentarfilmen und drehte über 50 Dokumentarfilme. Über 10 Jahre lang war sie Dozentin an der Fakultät für Journalismus der Universität Danzig. In den letzten fünfzehn Jahren war sie Leiterin der Dokumentarfilmabteilung des Europäisches Solidarność-Zentrum (ECS). Sie ist die Autorin der Filme, die in der Dauerausstellung des ECS gezeigt werden.

Anna Maria Mydlarska (2.v.r.) führt durch das Europäische Solidarność-Zentrum, Danzig/PL

Quellen und weiterführende Informationen

Mitteleuropäer denken über das Leben vor dem Fall der Berliner Mauer nach
Interview mit Anna Maria Mydlarska auf voicesfromthecenter.net

Geschichte der Solidarność
Interview mit Anna Maria Mydlarska auf bundesstiftung-aufarbeitung.de

Poland from Solidarity Perspective
Gintautas Mažeikis und Tomas Kavaliauskas (Zentrum für Sozial- und Politikkritik, Vytautas Magnus Universität, Litauen) im Gespräch mit Anna Maria Mydlarska auf yotube.com


Günter Starke: Alternatives Leben in der DDR. Neustadt, Dresden/DE

Zeitzeuge - Günther Starke - zusammen.HALT © E. Richter
Günter Starke (© Evelyn Richter)

Günter Starke und seine Frau Christine gingen in der DDR den schwierigen Weg zum freien Fotografen. Seit Mitte der 1980er Jahre erkunden sie fotografisch ihr Lebensumfeld in der so genannten Äußeren Neustadt. Dieser Stadtteil Dresdens zeichnete sich zu DDR-Zeiten durch zunehmenden Verfall aus, aber auch dadurch, dass sich hier Künstler und alternativ denkende Menschen ihre eigenen Nischen schufen.

Als das Viertel behördlicherseits zum Abriss vorgesehen war, begann Günter Starke zwischen 1985 und 1992 sein Langzeitprojekt der fotografischen Dokumentation. Im Mittelpunkt standen dabei vor allem die Bewohner in ihrem privaten Wohnumfeld. Günter Starke kennt die Geschichte zu jedem Foto, lustige, überraschende und tieftraurige Ereignisse. Heute gilt der Fotograf als wichtigster Chronist von Fotografien aus der Neustadt vor der Friedlichen Revolution.

Zeitzeuge - Günther Starke - zusammen.HALT © privat
Günter Starke (© privat)

Quellen und weiterführende Informationen

Meine fotografischen Dokumentationen sind Langzeitbegleitungen baulicher, technischer und/oder sozialer Veränderungen
Homepage von Günter Starke unter guenterstarke-foto.de

Günter Starke – der Fotograf der Dresdner Neustadt
Fotoreportage auf mdr.de

Mein Weg war holprig
Artikel auf saechsische.de


Heidi Bohley: Zwischen Halle und Havel – der Mut zur Freiheit. Halle, Dresden/DE & Prague/CZ

Zeitzeuge - Heidi Bohley (© privat)
Heidi Bohley (links) (© privat)

Heidi Bohley wurde 1950 in Görlitz als Tochter einer nach dem Zweiten Weltkrieg vertriebenen Familie geboren. Ihre Eltern, evangelische Christen, standen dem DDR-System kritisch gegenüber. Trotz ihrer Weigerung, an der Jugendweihe teilzunehmen, konnte sie dank der Ermutigung eines Lehrers das Abitur machen.

1969 nahm Bohley ein Studium an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle auf. Einige Kommilitonen hatten den Panzereinmarsch in Prag 1968 nach dem Prager Frühling mit eigenen Augen gesehen. Diese Ereignisse und das Leben in der DDR wurden im Freundeskreis besprochen. 1973 wurde ein Freund verhaftet und wegen “staatsfeindlicher Hetze” zu 5 Jahren Gefängnis verurteilt. Ebenfalls 1973 wurde die Tochter Marí geboren. Ihr Vater, ein Student aus Prag, starb nur drei Monate nach der Geburt seiner Tochter. Trotzdem gelang es der Mutter, das Kind nicht in eine staatliche Kinderkrippe zu geben.

Der Kontakt zu ihren tschechischen Verwandten brach nie ab, doch nach einem Besuch bei Václav Havel 1985, dessen Buch “Versuch, in der Wahrheit zu leben” einen großen ermutigenden Einfluss auf die DDR-Opposition hatte, durfte sie nicht mehr in die Tschechoslowakei einreisen. Dennoch erinnerte sie sich an Havels Aussage: “Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgehen wird, sondern die Gewissheit, dass etwas einen Sinn hat, egal wie es ausgeht.”

1982 protestierte Heidi Bohley gemeinsam mit 150 Frauen aus Berlin und Halle gegen ein neues Wehrpflichtgesetz, nach dem auch Frauen zur Armee eingezogen werden konnten. Es folgte die Überwachung durch die Stasi (Staatssicherheit = ehemalige Geheimpolizei in der DDR), aber auch der Zusammenhalt und die Stärke zwischen den Frauen.

Heidi Bohley (© Dirk Vogel)
Heidi Bohley (© Dirk Vogel)

Quellen und weiterführende Informationen

Das Wichtigste ist Empathie gegenüber anderen Menschen
Interview mit Heidi Bohley (Text u. Audio) auf memoryofnations.eu

Woher kam der Mut?
Beitrag von Heidi Bohley, aus: Freya Klier (Hg.), Wir sind ein Volk. Oder?, Freiburg, Herder-Verlag 2020, Seite 29-38


Luiz Mazuze: Migrant:innen in der DDR, Dresden/DE

Zeitzeuge - Luis Mazuze - zusammen.HALT © privat
Luis Mazuze (rechts) im Weltclub / Afropa (© privat)

Luiz Mazuze kam 1980 als Vertragsarbeiter aus Mosambik in die DDR. Er träumte davon, an einer Universität zu studieren, wurde aber bald enttäuscht. Er musste als ungelernter Arbeiter in einer Brauerei arbeiten und sehr oft Grabarbeiten verrichten. Er und andere Vertragsarbeiter mussten auch immer wieder Rassismus erleben – ein Problem, das in der DDR offiziell kein Thema war.

In den letzten Jahren der DDR, der Friedlichen Revolution und den Jahren danach, erlebte er schwere Zeiten. Nach der Wiedervereinigung lebte Luiz Mazuze weiter in Dresden und konnte sich durch Ausbildung, Meister und Studium schrittweise qualifizieren. Heute ist er Senior-Braumeister und engagiert sich im Afropa, einem Verein für afrikanisch-europäische Verständigung und das friedliche Zusammenleben von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund in Dresden.

Zeitzeuge - Luis Mazuze - zusammen.HALT © privat
Luis Mazuze am Denkmal für den 1993 ermordeten Jorge Gomondai (© privat)

Quellen und weiterführende Informationen

Engagement für afrikanisch-europäische Verständigung
Luis Mazuze ist Vorstandsmitglied des Dresdner Vereins Afropa e.V.

Klischees und Vorurteile
Podiumsgespräch mit Luis Mazuze, Douha AlFayyad (Autorin) und Dr. Josef Schneider (Vorsitzender – Euro-Bridge e.V.), im Rahmen des Projekts Treffpunkt ostZONE. Erinnern und gestalten (Kultur Aktiv, 2020)

Glaubwürdig
MDR-Beitrag unter fernsehserien.de


Besichtigung eines ehemaligen Jugendwerkhofs: Führung mit Dr. Maria Pretzschner, Museumspädagogin, Festung Königstein/DE

Orte - Jugendwerkhof Königstein - zusammen.HALT © privat
Jugendwerkhof Königstein (© Archiv)

Von 1949 bis 1955 wurde die ehemalige Festung Königstein in der Sächsischen Schweiz als sogenannter Jugendwerkhof genutzt. Hier sollten schwer erziehbare und straffällig gewordene Jugendliche zu “sozialistischen Persönlichkeiten” erzogen werden. Wie alle derartigen Einrichtungen in der DDR in den 1950er Jahren basierte er auf den Ideen der Kollektiverziehung, die von den Methoden des sowjetischen Pädagogen Anton Makarenko inspiriert waren. Sowohl die Arbeit als auch die Freizeit waren streng organisiert.

Die Museumspädagogin Dr. Maria Pretzschner führt durch die Festung Königstein, heute ein historisches Museum, und gibt Einblicke in diese besondere Vergangenheit aus der Frühzeit der DDR. Dabei kann sie auf eine Vielzahl von Interviews mit ehemaligen Häftlingen und die Ergebnisse einer Sonderausstellung aus dem Jahr 2019 zurückgreifen.

Orte - Jugendwerkhof Königstein - zusammen.HALT © Marcus Oertel
Museumspädagogin Dr. Maria Pretzschner führt durch den Jugendwerkhof Königstein (© Marcus Oertel)

Quellen und weiterführende Informationen

Der Jugendwerkhof auf dem Königstein, 1949-1955
Artikel zur Sonderausstellung auf festung-koenigstein.de

Jugendwerkhof
Artikel zur Begriffsklärung auf wikipedia.org


Jürgen Gottschalk: Mail Art und Stasi-Verfolgung, Dresden/DE

Zeitzeuge - Jürgen Gottschalk - zusammen.HALT © privat
Jürgen Gottschalk bei einer Führung in der Gedenkstätte Bautzner Straße (© privat)

Jürgen Gottschalk wurde 1951 in Dresden geboren. Er und einige andere Künstler in Dresden ließen sich Ende der 1970er Jahre von der Mail-Art-Bewegung aus Polen inspirieren. Sie entwarfen künstlerische Postkarten mit kritisch-ironischen politischen Botschaften, die sie weltweit verschickten und nach deren Rücksendung in privaten Ausstellungen mit Freunden und Gleichgesinnten präsentierten. 1991 eröffnete Gottschalk sein eigenes Druckatelier. Verschiedene Kunstprojekte setzten sich kritisch mit der DDR auseinander.

Diese Aktivitäten wurden von der Stasi streng überwacht und mit sogenannten “Vernichtungsmaßnahmen” unterdrückt. Jürgen Gottschalk erhielt Arbeitsverbot, wurde verhört, inhaftiert und 1985 freigekauft und nach Westdeutschland geschickt. Im Jahr 1991 kehrte er nach Dresden zurück, wo er heute lebt und arbeitet. Neben seiner künstlerischen Arbeit engagiert er sich in der Gedenkstätte Bautzner Straße mit Führungen und Zeitzeugengesprächen.

Quellen und weiterführende Informationen

Druckstellen: Die Lebensgeschichte des Dresdner Künstlers Jürgen Gottschalk, um Interviews und Dokumente erweitert
Artikel von Ralf Julke auf l-iz.de

Jürgen Gottschalk. Druckstellen. Die Zerstörung einer Künstler-Biographie durch die Stasi
Buchreihe der Sächsischen Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Band 5, Evangelische Verlagsanstalt Leipzig 2006, 120 Seiten mit zahlr. Abb.


Lutz Kandler: Malerei auf der Brücke Blaues Wunder, Dresden/DE

Zeitzeuge - Lutz Kandler - zusammen.HALT © Steffen Füssel
Das Blaue Wunder brachte sie in den Knast: Klaus Schumann, Eberhard Haaser, Lutz Kandler (v.l.n.r.) in einer nachempfundenen Zelle der Gedenkstätte Bautzner Straße (© Steffen Füssel)

Kurz nach dem Bau der Mauer an der deutsch-deutschen Grenze am 13. August 1961 malten drei junge Leute die Parole “Nieder mit Ulbricht” (Walter Ulbricht, Erster Sekretär der Sozialistischen Einheitspartei) auf die als “Blaues Wunder” bekannte Brücke in Dresden. Die Stasi brachte die drei Freunde in das Untersuchungsgefängnis an der Bautzner Straße und verhörte sie wegen dieses verbalen Angriffs auf den obersten Entscheidungsträger der DDR. Sie wurden wegen “aufrührerischer Propaganda” verhaftet und verbrachten mehrere Jahre im Gefängnis. Lutz Kandler erinnerte sich später: “Das Schlimmste war der laute Lärm, als die Wärter uns einsperrten.”

Nach der Friedlichen Revolution wurden die drei Männer rehabilitiert und erhielten eine kleine Opferrente. Lutz Kandler arbeitete lange Zeit als Lehrer in Dresden, engagiert sich heute als Zeitzeuge in der Gedenkstätte Bautzner Straße und bietet dort Führungen an.

Zeitzeuge - Lutz Kandler - zusammen.HALT © privat
Eberhard Schumann, Lutz Kandler und Klaus Schumann (v.l.n.r.) am Blauen Wunder (© privat)

Quellen und weiterführende Informationen

So hat uns das Blaue Wunder in den Knast gebracht
Artikel von Dirk Hein auf tag24.de

Das Projekt zusammen.HALT in Trägerschaft der Gedenkstätte Bautzner Straße und in Kooperation mit Kultur Aktiv wird gefördert durch das Bundesprogramm „Jugend erinnert“ zur Aufarbeitung des DDR-Unrechts und hat eine Laufzeit bis Ende 2023.