“Mein Dresden. Meine Wahl.” Die Johannstadt aus Zahras Sicht

Am 02. September waren die Dresdner Nachbarschaften auf Entdeckungstour in der Johannstadt unterwegs. Treffpunkt für den Spaziergang durch die Johannstadt ist am Straßburger Platz. Der Lärmpegel an der verkehrsreichen Kreuzung ist hoch. Zum Glück hat Zahra einen kleinen Verstärker für Ihre Stimme dabei. Sie ist Teilnehmerin eines Gleichstellungprojektes des Ausländerrates Dresden e.V.

Am 02. September waren die Dresdner Nachbarschaften auf Entdeckungstour in der Johannstadt unterwegs. Treffpunkt für den Spaziergang durch die Johannstadt ist am Straßburger Platz. Der Lärmpegel an der verkehrsreichen Kreuzung ist hoch. Zum Glück hat Zahra einen kleinen Verstärker für Ihre Stimme dabei. Sie ist Teilnehmerin eines Gleichstellungprojektes des Ausländerrates Dresden e.V.

Text: Uta Rolland, Ivana Pezlarova · Fotos: Yvonn Spauschus

Das Projekt „Dresdner Migrationsgeschichten: Frauen*stimmen sichtbar machen!“ bietet biografische Stadtführungen aus außergewöhnlicher Perspektive an. Dabei teilen Frauen* mit Flucht- und Migrationserfahrung ihren Blick auf die Stadt, erzählen ihre persönlichen Geschichten, klären über die Themen der Gleichstellung der Geschlechter, Flucht und Ankommen aus weiblichen Perspektiven auf. Zahra ist seit zwei Monaten dabei. Begleitet wird sie von Anke, 21-jährige*r Student*in. Anke engagiert sich als Tourbegleiterin, zu deren Aufgabe gehört, die Stadtführerinnen* bei der Durchführung ihrer Touren je nach individuellem Bedarf zu unterstützen: Mal sprachlich, mal organisatorisch. Anke freut sich über solches Ehrenamt, indem Frauen* mit Migrationserfahrung als Expertinnen* in eigener Sache auftreten, ihr Wissen teilen und ihre Deutschkenntnisse verbessern können.

Zahra ist 35. Sie ist im Iran geboren und aufgewachsen, stammt aber aus Afghanistan. Seit 2017 lebt sie mit ihrem Mann und Sohn in Deutschland, seit 2019 in Dresden. Am Eingang des Botanischen Gartens, einer ihrer Lieblingsorte in Dresden, erzählt sie von ihrem Studium des Gartenbaus, das bisher in Deutschland nicht anerkannt wurde. Sie erläutert den langwierigen Weg der Anerkennung der ausländischen Abschlüsse, der mehrere Monate, manchmal sogar Jahre dauern kann. Dazu braucht es verschiedene Voraussetzungen, die nicht leicht zu erfüllen sind. Eine Hürde, die B2-Sprachprüfung wartet noch auf sie.

An Stationen wie dem Marwa-El-Sherbini Kultur- und Bildungszentrum Dresden in der Marschnerstrasse erfahren die Teilnehmer*innen z.B. einige Unterschiede zwischen der schiitischen und sunnitischen Abspaltung des Islam sowie die Geschichte von Marwa El-Sherbini, die vor 13 Jahren aus rassistischen Gründen in Dresden ermordet wurde. Zahra macht an einem angrenzenden Spielplatz halt und teilt ihre Geschichte. Zahra ist wichtig, Marwa zu gedenken sowie eine Parallele zu ziehen: auch sie wurde mit ihrem Kind wie damals Marwa in Dresden öffentlich rassistisch angegriffen.

Ihre Berufsbiografie beeindruckt: als sie 17 war, musste die ganze Familie mit fünf Kindern zurück nach Afghanistan fliehen. Um die Eltern finanziell zu unterstützen, gründete sie einen Frisiersalon, den sie erfolgreich mit drei Mitarbeiterinnen betrieb, sie hatte einen Führerschein und ein Auto. Alles Dinge, die seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 für Frauen in Afghanistan nicht mehr möglich sind. Die Gleichstellung von Frau* und Mann* ist für Zahra selbstverständlich, mit solchen Werten ist sie aufgewachsen. Allerdings ist ihr bewusst, dass es noch ein langer Weg ist, bis überall auf der Welt Frau* und Mann* gleichberechtigt sind. Zahra berichtet über die aktuelle Situation und über die mutigen afghanischen Frauen*, die sich der Unterdrückung stellen und zeigt dabei ein Bild aus diesem Jahr, auf dem man demonstrierende Frauen* mit Transparenten sieht.

Bei der Ankunft am Johannstädter Kulturtreff haben wir einiges vom Stadtteil gesehen und dabei Interessantes aus Zahras wechselvollem Leben erfahren. Manches davon wirft weitere Fragen auf. Ihre Sicht auf den Stadtteil sensibilisiert und verändert die eigene, vertraute Perspektive. Welche Orte sind für Frauen* mit Migrationserfahrung wichtig und warum? Gibt es Orte, die an das Herkunftsland erinnern? Es ist schön, dass sie mit ihrer Familie inzwischen gut in Deutschland und Dresden angekommen ist und sich als Teil der Gesellschaft fühlt. Dazu hat auch ein weiteres Projekt des Ausländerrates der Begegnungstreff „Café Halva“ beigetragen: dort hat sie Unterstützung und erste Freundschaften knüpfen können. Dort können sich migrantische Frauen* mit ihren Talenten und ihrem Wissen einbringen und selbstbestimmt agieren.

Durch die Stadtführungen hat sie die Möglichkeit, sicht- und hörbar Teil einer Dresdner Gemeinschaft zu sein, in der sie mit ihrer spannungsvoll geprägten Geschichte einen Platz hat. Für die Zukunft wünscht sie sich eine gute berufliche Perspektive und eine offene, respektvolle Nachbarschaft. Am liebsten würde sie in der Johannstadt wohnen, denn sie liebt das Wasser und dessen beruhigende Wirkung und wäre gern viel öfter an der Elbe.

Anke dagegen ist sehr zufrieden mit dem jetzigen Wohnort nahe der Uni. Eine ihrer Nachbarinnen ist mit der Zeit nicht nur eine beste Freundin geworden, sondern ist auch ein Grund, nicht umzuziehen.


Das Projekt “Dresdner Migrationsgeschichten: Frauen*stimmen sichtbar machen!” (01.02.-31.12.2022, Ausländerrat Dresden e.V.) wurde durch das Sächsische Ministerium der Justiz, für Demokratie, Europa und Gleichstellung und die Heidehof Stiftung gefördert.

Stadtteilspaziergang in Johannstadt
02.09.2022 · Stadtteilspaziergang in Johannstadt
Gläserne Manufaktur

Dresdner Nachbarschaften
Damals, Heute, Morgen / Zuhören, Erinnern und Gestalten

In unseren Erzählcafés und Gesprächsrunden, Stadtteilrundgängen und Workshops wollen wir euch ermuntern, Geschichten zu erzählen und Visionen zu entwickeln.

Zeitraum
05-12.2022

Projektbeteiligte
Yvonn Spauschus (Projektleitung)
Anne Ibelings · Moussa Mbarek · Nadine Wölk (Workshopleitung)
Uta Rolland · Rosa Brockelt · Rosa Hauch · Falk Goernert (Dokumentation und Moderation)

Kooperationspartner:innen
JugendKunstschule Dresden · Omse e.V. · Löbtop e.V. · Quartiersmanagement Prohlis, Johannstadt und Gorbitz · Sigus e.V. · In Gruna leben e.V. · UFER-Projekte Dresden e.V.

Gefördert durch

Das Projekt wird gefördert vom House of Resources Dresden+