🔊 | Neulich in Dresden / Recent la Dresda

Der zweite Kontakt auf der Liste nimmt beim ersten Klingeln ab. Ich verabrede einen Termin, und am nächsten Vormittag kommt Daniel mit seinem modernen Transporter, um mit mir ein günstig erstandenes Möbelstück vom anderen Ende der Stadt abzuholen.
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Schon am Telefon war mir sein leichter Akzent aufgefallen.

Da sich auf der Fahrt schnell ein Gespräch mit dem freundlichen Mann in den Dreißigern entwickelt, wage ich die Frage nach seiner Herkunft. Daniel kommt aus Rumänien. Das ist eine Steilvorlage für mich.

Außerhalb des angeheirateten Familienkreises habe ich kaum Möglichkeiten, meine Sprachkenntnisse anzuwenden. Ich wechsle ins Rumänische, und nach einem Überraschungsmoment auf seiner Seite fließt unsere Unterhaltung einfach in der anderen Sprache weiter. Wir verstehen uns. Schön. Ich erfahre, dass er mit seiner Frau vor sieben Jahren nach Dresden gekommen ist. Sie arbeiten viel und haben ein gutes Auskommen, aber wenig Anschluss. Er sagt, das es anders ist hier. Das Zusammensein. Die Art, sich zu verabreden. Es gibt wohl eine Barriere, die nicht so leicht zu überwinden ist. Andere Menschen aus Rumänien kennen sie nicht. Sie sind eher für sich und fahren in der freien Zeit in ihren Garten außerhalb von Dresden, in den Urlauben zur Verwandtschaft nach Rumänien. Ich weiß nicht mehr ob das Wort „kalt“ direkt fiel, aber es ist der Moment in dem ich mich frage, ob Heimatgefühl auch in Temperatureinheiten ausgedrückt werden könnte – bei wie viel Grad fühlt man sich zu Hause? Gibt es eine Wohlfühltemperatur, wenn man im Ausland lebt?

Die rumänische Community, die ich vor Ort kenne, ist ziemlich groß. Sie hat einen familiären Kern aus mehreren Geschwistern, die in kurzen Abständen nach Dresden gekommen sind und hier Familien gegründet haben. Die orthodoxe Kirche ist ein weiteres wichtiges Bindemittel. Aber auch hier bleibt man eher unter sich, wenn auch im größeren Kreis. Ich würde Daniel gern mit den anderen in Kontakt bringen, aber würde das passen? Nur wegen der gemeinsamen Sprache? Ich merke, dass ich beim spontanen Brückenschlagen nicht so sicher bin wie sonst. Es ist eben doch nicht ganz meine Welt, in die ich mich vor vielen Jahren kopfüber hineingestürzt habe. Ich liebe es, Welten über Sprachen zu entdecken. Kommt ein konkreter Anlass dazu, gibt es kein Halten mehr. In diesem Fall waren es Menschen, mit denen ich sprechen, die ich verstehen wollte.

Damals freute ich mich, dass mein dem Rumänischen eng verwandtes Schulfranzösisch doch noch zu etwas gut war. Bei der Gelegenheit konnte ich auch die schräge DDR- Erfahrung überschreiben, Umgangsverbot mit den Menschen zu haben, deren Sprache ich lernte. Zwanzig Jahre später war das kein Thema mehr: Kommunikation ausdrücklich erwünscht. Stück für Stück rückten die echten Gesprächsinhalte meine Vorstellungen zurecht, Stück für Stück entdeckte ich Gemeinsamkeiten und Unterschiede – Führen auch in Rumänien alle Wege nach Rom? Ja. Toate drumurile duc la Roma. Ähneln sich die Kraftausdrücke? Nein. Dass Sprache so intensiv sein kann, wusste ich bis dahin nicht. Mein spielerischer Versuch, bestimmte Redewendungen mit anderen Vokabeln umzuwandeln, lief ins Leere. Das war gut so, denn Sprache hat hier wie dort auch eine wichtige Regulationsfunktion. Letztendlich konnte ich dem Gewitter- Prinzip doch einiges abgewinnen: nachtragend ist man im Rumänischen eher nicht. Was ich auch lernte: eine gemeinsame zweite Fremdsprache funktioniert zu Hause wunderbar als Geheimsprache, wenn man unter vielen Menschen etwas Persönliches austauschen möchte. Aber halt nur innerhalb der Grenzen…

Der Zufall will es, dass Daniel den Abholort und Verkäufer schon kennt. In freundlicher Atmosphäre wird der Verkauf abgewickelt. Aus verschiedenen Gründen scheint es für alle zu passen, das fühlt sich sehr gut an. Auf der Rückfahrt ist Daniel nachdenklicher und sagt zum Abschied einen längeren Satz, beim ich doch nachfragen muss: Dass jemand von hier seine Sprache lernt, sagt er, ist ihm bis jetzt noch nicht begegnet.

Uta Rolland


Dresden spricht …

Workshops, Rundgänge, Schreib- und Druckwerkstätten unter dem Motto „Sprache und Schrift. Dresden spricht viele Sprachen“

Zeitraum
03-12.2024

Projektbeteiligte
Yvonn Spauschus (Projektleitung)
Yulia Vishnichenko · Moussa Mbarek · Nadine Wölk · Rosa Brockelt · Yuliya Firsova · Martin Mannig (Workshopleitung)
Rosa Brockelt · Rosa Hauch · Falk Goernert · Birthe Mühlhoff (Moderation und Dokumentation)
Adina Rieckmann · Lydia Hänsel (Tourguides)
Inge · Mahsa · Karin (Ehrenamtliche Hilfe)

Kooperationspartner:innen
JugendKunstschule Dresden – Standort Passage, Omse e.V., Nachbarschaftshilfeverein, Stadtteilverein Johannstadt e.V., Malteser Hilfsdienste e.V., Montagscafé am Staatsschauspiel Dresden sowie Chinesisch-Deutsches Zentrum e.V., Lebenshilfe Dresden e.V., GEH8 Kunstraum und Ateliers e.V., Umweltzentrum Dresden – ABC Tische, Internationale Gärten Dresden e.V, ColumbaPalumbus e.V., Ausländerrat Dresden e.V., Blinden- und Sehbehindertenverband, Löbtop e.V. und viele mehr

Gefördert durch

Das Projekt wird gefördert durch das Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt. Diese Maßnahme wird mitfinanziert mit Steuermitteln auf Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes im Rahmen des Landesprogrammes Integrative Maßnahmen.