“Liebliche Aue” – Am 01. Juli führte Marlis Goethe durch die Dresdner Nachbarschaften in Löbtau.
Text: Rosa Hauch · Fotos: Yvonn Spauschus · Illustrationen: Rosa Brockelt
Professionell, wie eine Stadtführerin, hält sie Bilder und Dokumente in Folien bereit, um uns einen Einblick in das Dorf von damals zu geben. Dafür reisen wir zurück ins 19. Jahrhundert. Wir beginnen bei Gottlob Werner, dem Geologen, der der Wernerstraße ihren Namen gab. Der Geologe Werner, nicht Rötger Feldmanns beinharter Werner. Und hats geklappt mit dem Ohrwurm? Zurück zu unserer Stadtteilexpertin.
Marlis Goethe, wie Goethe, ist 1976 nach Dresden gekommen. Sie war bis 2014 Lehrerin an der 36. Mittelschule Dresden. Geschichte, Kunst und HTW hat sie unterrichtet. HTW steht hier für Haushalt, Technik und Wirtschaft. Kein Wunder also, dass sie das alles weiß. Aber nicht selbstverständlich, dass sie ihr Wissen mit uns teilt. Stadtteilarbeit geschieht ehrenamtlich, auf Kosten der eigenen Zeit, Kraft, Familie. ”Manchmal müsste ich mich zerreißen”, sagt sie. “Alles geht einfach nicht.” Doch bei Marlis geht ganz viel.
Auf dem Weg durch die kleinen Straßen abseits der Kesselsdorfer erinnert sich Marlis an die sogenannten Tanztees und nicht mehr genau daran, ob sie auch rein gegangen ist in das Restaurant “Zum Frieden” oder nur den plüschigen Teppich bestaunt hat, um auf dem Absatz kehrt zu machen.
Für junge Leute heute klar die falsche Location. Hans erinnert sich an dieser Stelle an die alten Gaslaternen und wie hübsch sie waren. Die modernen Straßenbeleuchtungen gefallen ihm nicht. Hans und Marlis spielen Informations-Ping-Pong. Jeder weiß etwas zu einem Ort und am Ende entsteht ein interessantes Puzzle von Kuh-Löbte.
Zwölf Großbauern hatten 1750 rund 116 Kühe. Es war viel für die damalige Zeit. Napoleons Truppen machten Rast im Dorf und konnten von den Brücken und Hügeln weit ins Land schauen. Wer kann sich heute noch vorstellen, dass Weidelandschaft charakteristisch für Löbtau war? Entlang der Weißeritz hatten sich im Laufe der Zeit ganz unterschiedliche Fabriken angesiedelt. Löbtau wuchs und wuchs zu einer reichen Gemeinde, die kurz vor ihrer Eingemeindung 1903 39.000 Einwohner zählte. Heute leben etwa 20.000 Menschen in diesem Dresdner Stadtteil, der einhundert Jahre älter ist als die Stadt Dresden selbst.
Frosch-Cotta und Kuh-Löbte. Nach diesen Geschichten liegt es nahe, beim nächsten Umzug mal in die Geschichte der favorisierten Gegend zu schauen. Bei Löbtau ist das gut möglich. Es gibt einen sehr regen Geschichtsverein und ein Stadtteilhaus in der Gohliser Straße 1. Dort trifft man immer jemanden, der sich auskennt und auch gerne sein Wissen weitergibt.
Der komische Vogel Hans
Hans, der mit Marlis Erinnerungspingpong spielt, heißt Hans Marburg. Genannt wird er Marabu, nach dem komischen Vogel eben. Diesen Spitznamen hat er wohl schon seit der Fahne. Als Hans seine 18 Monate NVA ableistete, lag dem Vorgesetzten Marabu näher als Marburg und nun, Jahre später, macht sich Hans einen Spaß daraus. Er lacht gern und er erzählt gern, und zwar uff Säksch. Die 1891 in Leipzig geborene Mundartdichterin und Schriftstellerin hat es ihm besonders angetan. Immer hat er ein kleines Büchlein der Lene dabei, aus dem er in Dialekt lesen und zitieren kann und das auf Einladung auch gerne für Gesellschaften tut.
Regionalmarkt dringend gesucht
Beim Spaziergang durch Löbtau fällt auf, welche Geschäfte neu sind, welche es nicht mehr gibt, wo mal das Briefmarkengeschäft war, wer Hüte verkaufte und Biergärten pflegte. Auch der Name des Drei-Kaiser-Hofes spielt immer wieder eine Rolle. Ursprünglich ein Hotel, wurde später ein Kino und noch später ein Bierkiosk daraus. Eine Apotheke heißt noch so, aber irgendwie gibts keine Ruhe damit. Viel zu ruhig ist es hingegen um den Regionalmarkt. Die Anwohner wünschen sich dringend einen kleinen Wochenmarkt mit regionalen Produkten. Bisher sind immer mal Flächen, wie die Mephisto-Wiese im Gespräch. Geplant und umgesetzt wurde leider noch nichts.
Von Würfelhäusern und Hundehütten
Die Architektur spielt immer eine besondere Rolle und im reichen Löbtau konnte man sich mit den entsprechenden Mitteln auch etwas leisten. Nicht nur die Würfelhäuser im alten Dorfkern prägen heute noch das Gesicht des Stadtteils, auch die Gründerzeithäuser und die Friedenskirche haben etwas Charakteristisches. Und wie so oft, gilt auch hier, Improvisiertes hält am längsten und sorgt ggf. auch für Spott. Schaut man zum Kreuz empor, sieht man einen Holzbau, der inzwischen den Beinamen „Höchste Hundehütte Sachsens“ bekam. Die Form erklärt alles.
Foto dringend gesucht
Löbtau hat wie Dresden seinen Ursprung in der Slawischen Geschichte. Übertragen hat der Name die Bedeutung „Liebliche Aue“. Die liebliche Aue wird von der Kesselsdorfer Straße, Kellei genannt, in Nord- und Süd-Löbtau geteilt. Wechseln wir die Straßenseite, wechseln wir auch den Ort. Und so fällt auf, dass etwas fehlt. Der kleine Kiosk, direkt am Eingang des Annenfriedhofes wurde abgerissen. Leider hat der Geschichtsverein kein Foto davon. Sollte also jetzt jemand diesen Text lesen und ein Foto haben oder jemanden kennen, der eins hat, der Geschichtsverein Löbtau würde sich sehr freuen.
Löbtop e.V. · Gohliser Straße 1 · 01159 Dresden
Stadtteilladen · AG Löbtauer Geschichte · Löbtauer Runde
Vorsitzende: Marlis Goethe, Rainer Leschhorn
Mail: vorstand@loebtop.de · Telefon: 0171 5333259
Wenn schon, denn schon, liebe Nachbarn
Wenn Löbtau „Liebliche Aue“ heißt, heißt auch der Nachbarschaftsverein auf der Wernerstraße Liubituwa e.V.
Konstantin Fricke findet das konsequent. Er kümmert sich hier und fühlt sich verantwortlich, dass es läuft in der Nachbarschaft. Ofen heizen, Bier besorgen, gemütlich machen. Zwischen 2015 und 2017 fand auch das Löbtauer Sprach-Café hier ein Zuhause. Deutsch gelernt wird immer noch, heute etwas anders und an mehreren Orten, doch immer donnerstags, ab 19.30 Uhr treffen sich die Nachbarn, um zu Quatschen, gemeinsam zu schweigen oder sich zu helfen. Manchmal kochen sie füreinander, manchmal leihen sie sich Werkzeug aus. Der Verein finanziert sich über Spenden, Getränkeverkauf und Mitgliedsbeiträge. Der nächste Winter kommt bestimmt und so ein Kachelofen ist an Gemütlichkeit kaum zu übertreffen. Gemütlichkeit ist übrigens ein Wort, welches nur so im Deutschen existiert. Man kann es nicht übersetzen, aber testen. Kommt vorbei.
Liubituwa e.V. · Wernerstr. 22 · 01159 Dresden
Konstantin Fricke · Telefon: 0151 1247 0593
Mein Leben für Löbtau
Da muss er schmunzeln. Aber für die Kunst, dafür gibt er sein Leben immer noch. Peter-Michael Steyer verantwortete von 1992 bis 2009 die Gastronomie im Schauspielhaus. Gern erinnert er sich an die Gespräche mit Rolf Hoppe oder Dieter Mann. Dabei kommt er ins Schwärmen über Professionalität, Sprach- und Stimmausbildung, Schauspielschule und gründliche Ausbildung. 30 Jahre lang hat er sich für den Verein Dresdner Musikfreunde eingesetzt. Dieser Verein teilt das Schicksal vieler Vereinigungen. Zuerst sind alle begeistert, machen Programm, entwickeln Neues und sind ständig unterwegs. Dann werden die ersten Vereinsmitglieder älter, können nicht mehr reisen, neue Vereinsmitglieder kommen nicht dazu und schließlich schließt sich der virtuelle Aktendeckel. Musikfreunde werden eine neue Form finden, sich zu organisieren bzw. sich zu treffen und auszutauschen. Doch das wird anders sein, als Peter-Michael Steyer es kennt. Es ist ja auch anders, was man so trägt als Opern- oder Konzertbesucher. In seiner Generation macht man sich chic und holt die guten Anzüge und Kleider aus dem Schrank. Das junge Opernpublikum trägt oft Jeans im Used-Look und findet gar nichts dabei. “Ob das so richtig ist,” fragt Peter-Michael Steyer und schließt den Sachverhalt der Quereinsteiger an. „Stephanie Stumpf hat noch alles von der Pike auf gelernt und studiert. 2006 hat sie mit Diplom ihr Schauspielstudium abgeschlossen. Das merkt man auch.“ Wahrscheinlich ist es wie überall in der Kunst. Ohne Talent geht’s nicht und ohne das Weiter-Lernen auch nicht. Apropos Lernen: Wer weiß, dass Otto Dix in der Kesselsdorfer Straße Wohnung, Geliebte, Tochter und Atelier hatte? Peter-Michael Steyer weiß das und berichtet, dass er erst durch einen Urlaub am Bodensee darauf aufmerksam wurde. Bei dieser Gelegenheit erinnert er sich an einen Dokumentarfilm über Dix aus dem Jahr 1965 und will auf jeden Fall auch noch nach Gera fahren, um weiter auf den Spuren von Otto Dix zu wandeln.
Grüne Daumen für ehemalige Weidelandschaft
Gärtnern verbindet und Gärtnern macht Spaß. In Löbtau gibt es drei Gemeinschaftsgärten. Das sind der Columbusgarten, der Garten auf der Emil-Ueberall-Straße 6 und der Annengarten, gleich hinter der Friedhofsmauer auf einem Areal, welches ohne diesen Garten brach liegen würde.
Zum Gärtnern sind wirklich alle, alle herzlich willkommen, ob mit oder ohne Gartenerfahrung, mit oder ohne grüne Daumen. Was zählt, ist das gemeinsame Säen und Ernten, das Pflegen und sich Treffen, das Spielen und Grillen. Im Columbusgarten stehen seit 2014 300 Quadratmeter zur Verfügung.
Bürgergarten Columbusstraße · Columbusstraße/Ecke Eichendorffstraße · 01159 Dresden
Sascha Latzkowski & Anja Grumbach
Mail: buergergarten@gmail.com · Telefon: 0177 5141271
Nahezu doppelt so groß ist mit 650 Quadratmetern der 2019 gegründete Annengarten. Man findet diese urbane Anlage, wenn man durch den Haupteingang des Friedhofes geht und sich gleich rechts hält. Offene Gartenzeit ist immer Mittwoch und Freitag von 16-18 Uhr. Hier kümmern sich alle um alles. Kräuter, Obst, Beerenfrüchte, Gemüse gedeihen gut, weil auch Landschaftsarchitekten wie Manu professionell unterstützen. Manu findet es nicht selbstverständlich, dass die Kirchgemeinde von ihrem Terrain etwas abgibt. Deshalb organisieren die Gärtner auch Arbeitseinsätze für den Friedhof. Sie haben Nistkästen angebracht und eine Totholzhecke erreichtet. Weitere Projekte sind in Planung. Manu hat beobachtet, dass viele junge Neu-Löbtauer mit ihren Kindern auf dem Friedhof spielen.
Annengarten (Neuer Annenfriedhof) · Kesselsdorfer Straße 29 · 01159 Dresden
Mail: annengarten@ufer-projekte.de
Im Internationalen Emil-Ueberall-Garten trifft man sich immer freitags ab 17 Uhr zum Arbeiten und Austauschen. Der Löbtau e.V. hat sich für die Stadtteile Löbtau und Naußlitz die Integration ganz groß auf die Fahnen geschrieben. Es gibt verschiedene Arbeitsgruppen im Verein und mit großer Sicherheit immer den richtigen Ansprechpartner für die unterschiedlichen Fragen, wie es in der Nachbarschaft so ist. Wer etwas nicht selbst weiß, kennt einen, der einen kennt, der helfen kann.
Internationaler Emil-Ueberall-Garten | Willkommen in Löbtau e.V.
Kontakt über GartenNetzwerk Dresden (dresden-pflanzbar.de)
01.07.2022 · Stadtteilspaziergang in Löbtau
Stadtteilladen (Löbtop e.V.)
01.07.2022 · Erzählcafé in Löbtau
Annengarten (UFER-Projekte Dresden e.V.)
Dresdner Nachbarschaften
Damals, Heute, Morgen / Zuhören, Erinnern und Gestalten
In unseren Erzählcafés und Gesprächsrunden, Stadtteilrundgängen und Workshops wollen wir euch ermuntern, Geschichten zu erzählen und Visionen zu entwickeln.
Zeitraum
05-12.2022
Projektbeteiligte
Yvonn Spauschus (Projektleitung)
Anne Ibelings · Moussa Mbarek · Nadine Wölk (Workshopleitung)
Uta Rolland · Rosa Brockelt · Rosa Hauch · Falk Goernert (Dokumentation und Moderation)
Kooperationspartner:innen
JugendKunstschule Dresden · Omse e.V. · Löbtop e.V. · Quartiersmanagement Prohlis, Johannstadt und Gorbitz · Sigus e.V. · In Gruna leben e.V. · UFER-Projekte Dresden e.V.
Gefördert durch
Das Projekt wird gefördert vom House of Resources Dresden+