Die Straßenzeitung drObs wird 25. Für Menschen in schwierigen Lebenslagen ist das gemeinnützige Projekt ein wichtiger sozialer Anker im Leben – ein Gastbeitrag für die Dresdner Nachbarschaften
Text: Johanna Schmidts & Jane Jannke · Fotos: Yvonn Spauschus
Die Sonne scheint! Mein erster Blick nach dem Aufwachen gilt dem Wetter. Bei gutem Wetter lässt sich die Dresdner Straßenzeitung drObs einfach viel besser verkaufen, da viele Leute in der Stadt unterwegs sind. Oft wollen sie wissen, warum ich obdachlos bin, denn viele halten die drObs immer noch irrtümlicherweise für eine Obdachlosenzeitung. Ich erkläre ihnen dann, dass ich gar nicht obdachlos bin, wie die meisten anderen drObs-Verkäufer*innen auch. Häufig entwickelt sich dann ein sehr angeregtes Gespräch, wodurch ich auch viel von meinem Gegenüber erfahre. Zum Teil ist daraus sogar ein regelmäßiger Kontakt entstanden. Es ist schön zu sehen, dass es Menschen gibt, die sich für mich und mein Leben interessieren. Leider gibt es aber auch solche, die mich abwerten und beleidigen. Sie sagen, dass ich mein Geld mit richtiger Arbeit verdienen soll. Das trifft mich, denn für mich ist der Verkauf „richtige Arbeit“. Aber ich reagiere nicht auf solch ein Verhalten. Mit solch einer Person möchte ich auch nicht über meine Lebenssituation sprechen.
Ich verkaufe die Straßenzeitung seit 1998 – also fast genau so lange wie es sie gibt. Ich habe zwar vor der Wende eine Ausbildung im Chemiebereich gemacht, konnte aber aus gesundheitlichen Gründen in diesem Beruf nicht mehr arbeiten. Ich schlug mich mit Gelegenheitsjobs durch und begann zu trinken, insgesamt zehn Jahre lang lebte ich auf der Straße. Ein Bekannter nahm mich damals bei sich auf, und das hat mich gerettet. Er war es auch, der mich damals fragte, ob ich nicht die drObs verkaufen möchte. Der Verkauf hat mit dazu beigetragen, dass ich nicht schon morgens an der Flasche hing, denn man muss dabei nüchtern sein. Nach meinem Entzug half mir die Arbeit bei drObs sehr, nicht rückfällig zu werden. Man geht morgens aus dem Haus und hat eine feste Tagesstruktur. Das lenkt ab, und man weiß, wofür man aufsteht. Besonders habe ich das in der Corona-Zeit gemerkt, als wir einige Monate nicht verkaufen durften. Das war eine sehr harte Zeit, in der mich nur meine Freundin davor bewahrte, wieder zur Flasche zu greifen.
Der Alkoholmissbrauch hat leider Spuren hinterlassen, heute bin ich chronisch krank. Der Verkauf der drObs kommt meiner Lebenssituation sehr entgegen. Es gibt keinen Zeitdruck und keine Verpflichtung. Seit vielen Jahren verkaufe ich jeden Tag, oft sogar sonntags. Das Geld habe ich sofort in der Tasche. Ich bin unter Menschen und komme mit den unterschiedlichsten Leuten in Kontakt. Wichtig sind mir aber auch die gemeinsamen Aktivitäten mit anderen Verkäufer*innen, der offene Treff, die Feste und die Ausflüge. So erlebt man Gemeinschaft und viele neue Dinge.
Von Armut betroffenen Menschen in schwierigen Lebenslagen wie Heiko L. bietet der Drobs e.V. seit 25 Jahren mit der Herausgabe der gleichnamigen Dresdner Straßenzeitung eine niedrigschwellige Annäherung an Erwerbsarbeit. Das seit Januar 1998 erscheinende Medium will den Kreislauf aus Armut, Krankheit und Isolation durchbrechen, indem es Menschen eine Stimme gibt, die sonst kaum Gehör finden. Ziel ist es, eine Brücke zu schlagen zwischen Benachteiligten und Mehrheitsgesellschaft und für die besonderen Lebensumstände und Bedürfnisse der Betroffenen zu sensibilisieren. Für viele der aktuell rund 60 aktiven Verkäufer*innen ist der Verein darüber hinaus aufgrund seiner ganzheitlichen Ausrichtung auch ein sozialer Ankerpunkt im Leben, der Halt gibt, über die Beratung durch professionelle Sozialarbeiter*innen Auswege eröffnet und das Selbstwertgefühl stärkt. Um das gewährleisten zu können, ist der Verein sowohl auf ehrenamtliches Engagement als auch auf Spenden angewiesen.
Das Beste, sagt Heiko L., sei für ihn das Zusammentreffen und die Gespräche mit anderen Menschen. „Das gibt mir das Gefühl, Teil der Gesellschaft zu sein. Inzwischen kennt man mich an meinen Verkaufsplätzen, und selbst, wer keine Zeitung kauft, grüßt mich meist freundlich.“ Das Gefühl, geachtet zu werden und zum eigenen Lebensunterhalt beitragen zu können ist mitverantwortlich dafür, dass Heiko L. seit inzwischen acht Jahren trocken ist.
Dresdner Nachbarschaften
Damals, Heute, Morgen / Zuhören, Erinnern und Gestalten
In unseren Erzählcafés und Gesprächsrunden, Stadtteilrundgängen und Workshops wollen wir euch ermuntern, Geschichten zu erzählen und Visionen zu entwickeln.
Zeitraum
05-12.2022
Projektbeteiligte
Yvonn Spauschus (Projektleitung)
Anne Ibelings · Moussa Mbarek · Nadine Wölk (Workshopleitung)
Uta Rolland · Rosa Brockelt · Rosa Hauch · Falk Goernert (Dokumentation und Moderation)
Kooperationspartner:innen
JugendKunstschule Dresden · Omse e.V. · Löbtop e.V. · Quartiersmanagement Prohlis, Johannstadt und Gorbitz · Sigus e.V. · In Gruna leben e.V. · UFER-Projekte Dresden e.V.
Gefördert durch
Das Projekt wird gefördert vom House of Resources Dresden+